Wir haben das Ziel geladene Moleküle und ihre Fragmente ‒ erzeugt in einem Massenspektrometer ‒ für die chemische Synthese von kondensierter Materie einzusetzen. Für die vielseitigen experimentellen und theoretischen Untersuchungsmethoden, die wir nutzen, genießt unsere Gruppe die Unterstützung von erfahrenen Arbeitsgruppen aus aller Welt.

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Forschungsprofil NFG Warneke. Grafik: Sascha Steinbrink

Chemie mit molekularen Fragmentionen, präparative Massenspektrometrie

Massenspektrometrie ist Chemikern in der Regel als sensitive Analysemethode bekannt. In der Gasphase kann mittels verschiedener Verfahren Energie auf geladene Moleküle übertragen werden, wodurch diese angeregt werden. Dabei entstehen häufig „Bruchstücke“, die sich mit Methoden der klassischen Chemie nicht erzeugen lassen oder in der kondensierten Phase nicht stabilisiert werden können. Diese geladenen Molekülfragmente sind oftmals hoch reaktiv und katalytisch aktiv. Da sie jedoch bisher nur in sehr geringen Mengen erzeugt werden können, wird diesen außergewöhnlichen Ionen nur wenig Anwendungspotential zugeschrieben. Wir nutzen verschiedene spektroskopische, massenspektrometrische und theoretische Methoden, um Fragmentionen und ihre Reaktionsprodukte zu charakterisieren und diese via „ion soft-landing“ makroskopisch anzureichern. Dafür bauen wir eine neu entwickelte Apparatur, mit der sich Ionen aus der Gasphase sanft auf Oberflächen abscheiden lassen. Wir erforschen neue Methoden um reaktive Ionen auf Oberflächen zu stabilisieren und zur Aktivierung inerter Bindungen einzusetzen. Weitere Ziele sind die Präparation neuer katalytisch aktiver Oberflächen und metastabiler selbstorganisierender Schichten, die bisher unbekannte chemische und physikalische Eigenschaften aufweisen.

Zusätzlich zu unserem Labor am WOI betreiben wir zusammen mit dem IOM ein Labor für massenselektierte molekulare Ionendeposition.

Überblick über unsere Forschungsprojekte

Gasförmige molekulare Ionen, wie sie in der Regel aus massenspektrometrischen Untersuchungen bekannt sind, stehen im Fokus unserer Forschung. Während solche Ionen normalerweise analytischen Zwecken dienen, ist es unser Ziel, sie präparativ zu nutzen. Dazu untersuchen wir gasförmige Ionen massenspektrometrisch, spektroskopisch und mit theoretischen Methoden, um ihre Eigenschaften im Detail zu verstehen. Derzeit bauen wir „ion soft-landing“-Instrumente, mit deren Hilfe wir hohe Ionenströme erzeugen und gasförmige molekulare Ionen massenselektiert auf Oberflächen landen können. Auf diese Weise werden Oberflächenschichten erzeugt, die mit anderen Präparationsmethoden nicht zugänglich sind.

Molekulare Ionendeposition zur Erzeugung von Peptid- und Polymeroberflächenschichten

Im Rahmen des SFB TRR 102 beschäftigen wir uns mit zwei wissenschaftlichen Fragestellungen: i) Kann die Ion Soft-landing-Methode zur Initialisierung von Polymerisation auf Oberflächen eingesetzt werden, indem Monomere und Polymerisationsstarter (z.B. Radikalen, Anionen oder Kationen) co-deponiert werden und ii) wie verhalten sich große Polypeptide nach ihrer massenselektiven Deposition bzgl. Agglomeration auf Oberflächen und wie reagieren hoch reaktive Fragment-Ionen mit solchen Peptiden? Beispielsweise wurde das Radikaldianion [B12Br11O]2-• als Polymerisationsstarter und 4-Vinylbenzolsulfonat als Monomer auf einer Oberfläche in Schichten co-deponiert (siehe Abbildung 1). Es wird untersucht, wie die Reaktionsbedingungen (Schichtdicke, räumlichen Überlappung der Ionenströme auf der Depostionsoberfläche und Gesamtionenstrom) die Kettenlänge der beobachteten Polymere beeinflussen. Darüber hinaus wird das Ion Soft-landing-Instrument für dieses Projekt modifiziert, um Ion Soft-landing in ionische Flüssigkeiten zu ermöglichen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Abb 1: Kollisions induzierte Dissoziation und Struktur von 4-Vinylbenzolsulfonat. Grafik: S. Kawa
Abb 1: Kollisions induzierte Dissoziation und Struktur von 4-Vinylbenzolsulfonat. Grafik: S. Kawa

Abbildung 1. a) Kollisions induzierte Dissoziation (CID) von [B12Br11NO2]2- führt zur Bildung des Radikaldianions [B12Br11O]2-•. b) Struktur von 4-Vinylbenzolsulfonat.

Für STM-Untersuchungen, durchgeführt mit Kooperationspartnern am Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung (IOM), werden Peptidschichten mit unterschiedlichem Bedeckungsgrad durch Ion Soft-landing erzeugt. Es wird des Weiteren untersucht, wie verschiedenste reaktive Fragment-Ionen an die unterschiedlichen funktionellen Gruppen der Peptide binden.

Ion Soft-landing von unterkoordinierten Metallkomplexen und ihre Anwendung als neuartige Materialien für die Wasserstoff-Isotopentrennung

Wir untersuchen die Präparation von alternativen Materialien für die Wasserstoff-Isotopentrennung, welche unterkoordinierte Übergangsmetallkationen enthalten. Freie Bindungsstellen in Koordinationsverbindungen werden durch Fragmentierungsreaktionen in der Gasphase erzeugt. Wir möchten Methoden etablieren, welche es erlauben, diese Fragment-Ionen nach der Deposition auf Oberflächen zu stabilisieren. Ein bisher ausführlich untersuchtes Ion ist das molekulare Fragment-Ion [Ru(bpy)2]2+, welches zuvor aus der Gasphase deponiert wurde. [Ru(bpy)2]2+ wurde dabei durch kollisionsinduzierte Dissoziation (CID) erzeugt. Die vakante Bindungsstelle zeigt hohe Reaktivität und bindet an verschiedene Spezies auf der Oberfläche. Wir untersuchen die Kodeposition mit schwach koordinierenden Anionen, um das reaktive Fragment zu stabilisieren. Das stabilisierte unterkoordinierte Metallzentrum könnte eingesetzt werden, um Wasserstoff-Isotope zu trennen, so wie es in MOFs (metal organic frameworks) beobachtet wurde.

(Robert Schiewe)

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Abbildung: Struktur des Fragmentions Ru(bpy)2]2+.(Robert Schiewe)
Abbildung: Struktur des Fragmentions Ru(bpy)2]2+. (Robert Schiewe)

Funktionelle, Partikel-induzierte Nanofabrikation mit Schichten massenselektierter Ionen

Die Nanotechnologie ist ein Schlüsselfeld der Materialwissenschaft, dessen Aufgabe die beständige Weiterentwicklung etablierter Nanostrukturierungsprozesse und die Erforschung neuartiger und hochleistungsfähiger Materialien für den Einsatz auf der Nanoskala ist. Konventionelle Nanotechnologie basiert in der Regel auf Photolithographie, bei der unter Einsatz von kurzwelligem Licht und Masken Strukturen in photosensitive Materialien übertragen werden. Die erzielbare minimale Strukturgröße ist jedoch eng mit der Wellenlänge des verwendeten Lichts verbunden und stellt die Fertigungstechnik bei Verwendung von extrem ultravioletter oder sogar noch kurzwelligerer Strahlung vor große Herausforderungen. In komplementären Ansätzen wurden maskenfreie Prozesse untersucht, die auf der direkten Abscheidung von Material durch Partikel-induzierte Chemie (hochenergetische Elektronen oder Ionen) beruhen. Strahlen solcher Partikel können sehr fein fokussiert werden und erlauben daher Strukturgrößen im Bereich < 1 nm. Bislang sind diese Prozesse jedoch auf die Verwendung flüchtiger Vorläuferverbindungen beschränkt.

Wir haben das Ziel, Schichten, die durch Deposition massenselektierter Ionen erzeugt werden, als Ausgangspunkt für die Partikel-induzierte Nanofabrikation zu verwenden. Durch das Verfahren des Ion Soft-landings wird die Stoffklasse komplexer molekularer Ionen zugänglich für Schichtpräparation durch Gasphasenabscheidung und anschließende Nanostrukturierung gemacht. So können Nanomaterialien erzeugt werden, die über konventionelle Nanofabrikation oder aus flüchtigen Vorläuferverbindungen nicht erhältlich sind. Wir untersuchen insbesondere Partikel-induzierte Löslichkeitskontraste in Schichten metallorganischer Ionen, die Nanostrukturen ermöglichen, welche beispielsweise als nanoskalige Feuchtigkeitssensoren mit hoher Empfindlichkeit Anwendung finden könnten.

(Dr. M. Rohdenburg)

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Vorgehen bei der Partikel-induzierten Nanofabrikation ausgehend von Schichten massenselektierter Ionen am Beispiel des Tris(bipyridin)ruthenium(II)-Dikations. Grafik: M. Rohdenburg
Vorgehen bei der Partikel-induzierten Nanofabrikation ausgehend von Schichten massenselektierter Ionen am Beispiel des Tris(bipyridin)ruthenium(II)-Dikations. Grafik: M. Rohdenburg

Fragmentionen als neue chemische "Bausteine" für die Synthese von Molekülen

Wir erforschen die Bildung von Fragmenten, charakterisieren ihre chemischen Eigenschaften und akkumulieren Produkte, die mit klassischen präparativen Methoden nicht oder nur schwer zugänglich sind. Massenspektrometer bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten, gezielt Bindungen in der Gasphase zu brechen. Es steht somit ein großer „Baukasten“ von Molekülfragmenten zur Verfügung, dessen Einsatz wir für die chemische Synthese etablieren wollen. Die einzigartigen Eigenschaften der molekularen Ionen wurden von uns unter anderem an Fragmentionen des Typs [B12X11]- (X=Halogen, CN) intensiv untersucht (siehe Beispielpublikationen).

Repräsentative Publikationen

  • "Superelectrophilic Behavior of an Anion Demonstrated by the Spontaneous Binding of Noble Gases to B12Cl11]-" Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 7980 – 7985, DOI
  • "Rational design of an argon-binding superelectrophilic anion." Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A 2019, 116, 8167-8172, DOI
  • "Gas Phase Fragmentation of Adducts between Dioxygen and closo-Borate Radical Anions" Int. J. Mass Spectrom 2019, 436, 71-78., DOI
  • "Opening of an Icosahedral Boron Framework: A Combined Infrared Spectroscopic and Computational Study". Chem. Phys. Lett. 2015, 625, 48-52, DOI
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Optische Mikroskopiebilder von "ion soft-landing" Abscheidungen

Zentrale Bild: Gelandetes Ion [B12Cl12]2-, Oberfläche: Fluoriertes Alkanthiol auf Gold, Hintergrunddruck: 10-5 mbar. Der Austausch einzelner Parameter bewirkt markante Veränderungen des Materials:
a) Austausch F gegen H im Alkanthiol,
b) Hintergrunddruck 10-8 mbar,
c) Austausch der Halogensubstituenten des Ions, [B12I12]2

Die Deposition massenselektierter Ionen bietet die einzigartige Möglichkeit, Materialien durch die Abscheidung einer Ionenart – ohne die gleichzeitige Abscheidung eines entsprechenden Gegenions – zu generieren. In der Regel werden Ionen bei der Deposition entladen, da eine Schicht aus Ionen gleicher Ladung, aufgrund repulsiver Wechselwirkungen nicht existieren kann. Werden hingegen hoch stabile Anionen auf speziellen Oberflächen gelandet, die eine Entladung erschweren, können andere Phänomene beobachtet werden. Die Schicht aus geladenen Ionen auf der Oberfläche akkumuliert Moleküle aus der Atmosphäre des „ion soft-landing“ Instruments. Bei Luftkontakt verändern sich diese metastabilen Schichten in Zeiträumen von Sekunden bis Stunden und zeigen komplexe Selbstorganisationsprozesse. Die Mikrostrukturen der so entstehenden Schichten sind abhängig von den gelandeten Ionen, der Oberfläche und den Vakuumbedingungen während der Landung und können sehr unterschiedlich ausfallen (siehe Mikroskopiebilder). Der Ladungsüberschuss in der während der Deposition erzeugten Schicht ist eine starke Triebkraft für die beobachteten Phänomene. Wir haben das Ziel, physikalische Grundlagen der Selbstorganisation und (elektro-)chemische Reaktionen in diesen Schichten zu verstehen und diese Prozesse zu kontrollieren.

Am Leibniz Institut für Oberflächenmodifizierung (IOM) erforschen wir die Präparation neuartiger funktionaler Oberflächenschichten mit gasförmigen Ionen. Hierbei sind anwendungsbezogene, materialwissenschaftliche Fragestellungen und die „Bulk“-Charakterisierung von erzeugten Materialien der Schwerpunkt unserer Arbeit.

Repräsentative Publikationen

  • "Self-organizing layers from complex molecular anions" Nat. Commun. 2018, 9, 1889, DOI
  • "From Isolated Ions to Multilayer Functional Materials Using Ion Soft-Landing" Angew. Chem. Int. Ed. 2018, 57, 16270-16284, DOI

Physik.-chem. Eigenschaften und molekulare Wechselwirkungen der closo-Borate

Die Substanzklasse der closo-Borate spielt für unsere Forschung aus verschiedenen Gründen eine besondere Rolle:

1. Fragmente der closo-Boratanionen zeigen eine faszinierende Gasphasenchemie,
2. Deposition (soft-landing) unter Erhalt der Ionenladung ist möglich und
3. als schwach koordinierende, super stabile Anionen können closo-Borate im ion soft-landing Prozess reaktive Kationen, die „oben auf“ gelandet werden, stabilisieren.

Neben den für uns interessanten Anwendungen haben diese Substanzen auch hohes Potential für Anwendungen in der Medizin, z.B. in der Bor-Neutronen-Einfangtherapie (BNCT) für den Kampf gegen inoperable Tumore. Wir nutzen gasphasenspektroskopische Methoden, Massenspektrometrie und theoretische Methoden um neu synthetisierte closo-Boratanionen, die in unserem Kooperationsnetzwerk zur Verfügung stehen, zu charakterisieren. Hierzu werden zunächst die isolierten Ionen untersucht und dann ihre Wechselwirkungen, z.B. in Wirt-Gast-Komplexen, mit Gegenionen oder mit einzelnen und mehreren Lösungsmittelmolekülen. Diese Erkenntnisse helfen, die Verständnislücke zwischen den Eigenschaften der isolierten Ionen und den Eigenschaften ihrer Salze in Lösung zu schließen und dient als rationale Grundlage für die Synthese von closo-Boraten mit zielorientierten Eigenschaften.

Repräsentative Publikationen

  • "Properties of perhalogenated {closo-B10} and {closo-B11} multiply charged anions and a critical comparison with {closo-B12} in the gas and condensed phases" Phys. Chem. Chem. Phys. 2019, 21, 5903-5915, DOI
  • "Evidence for an intrinsic binding force between dodecaborate dianions and receptors with hydrophobic binding pockets" Chem. Commun., 2016, 52, 6300 – 6303, DOI
  • "Protic anions [H(B12X12)]- (X = F-I) that act as Brønsted acids in the gas phase" Chem. Eur. J. 2015, 21, 5887-5891, DOI

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